Kaliningrad 2017 - Aeroclub Braunschweig e.V. Motorfluggruppe

Aeroclub Braunschweig e.V.
- Motorfluggruppe -
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„Flight for Peace and Friendship“ oder Die Brücke von West nach Ost –
 
Ein ungewöhnlicher Ausflug nach Kaliningrad
 
 
Vor vier Jahren hatten sie bereits einen Flug zur Krim durchgeführt – die damaligen Herausforderungen machten den Mitgliederns der Motorfluggruppe Aero-Club Braunschweig e. V. Appetit auf neue Abenteuer. So stand für die Sportflieger in diesem Sommer die russische Exklave Kaliningrad, das frühere Königsberg, auf ihrer Agenda. Mitorganisatoren waren die IGF Interessengemeinschaft Flugtechnik e. V. und der Aero-Club Stendal e. V. Seit dem Zweiten Weltkrieg hatte kein deutscher Privatflieger mehr versucht, eine Genehmigung für diese Route zu erhalten. Nach monatelanger Kommunikation unter anderem mit dem russischen Flugplatzbesitzer Alexander Filin kam jedoch die Erlaubnis aus dem Büro Putins, zahlreiche Visaanträge wurden gestellt, und 13 Flugzeuge aus mehreren Bundesländern waren auf den Formationsflug vorbereitet.
 
So kamen fast 30 Piloten und Mitflieger zunächst in Heringsdorf auf Usedom zusammen, um die nicht ungefährliche Flugformation zu testen: Mit 13 Maschinen in kurzen Abständen zu starten und zu landen, stellt eine Herausforderung dar – auch für erfahrene Piloten. Von der deutschen Insel aus ging es bei guter Sicht über die Ostsee bis nach Danzig. Nach einer Erkundung der geschichtsreichen, heute herausgeputzten Stadt flog am Folgetag die nunmehr erprobte Fliegergruppe entlang der Küstenlinie bei bestem Wetter über das traumhaft schöne Naturschutzgebiet der Kurischen Nehrung bis zum Zielort Kaliningrad. Dieses Gebiet – normalerweise Sperrzone für Flugzeuge, an der Grenze Polen/Kaliningrad sogar Air Defense Identification Zone  – überflog die Formation sicher. Wie geplant und genehmigt landeten die Ultraleicht- und Echo-Flieger auf dem internationalen Flughafen Khrabrovo (UMKK) von Kaliningrad. Das mulmige Gefühl, das einige vor und während der Reise hatten, verwandelte sich mit der Bodenberührung in eine erleichternde, fast euphorische „Ja – es ist geschafft“-Stimmung.
 
Bei strahlendem Sonnenschein wurden die Sportflugzeuge zwischen großen Passagiermaschinen hindurch in einen Teil des Flughafens geleitet, in dem die russischen Zollbeamtinnen bereitstanden. Sie prüften die Visa ihrer ungewöhnlichen Kundschaft und stempelten – früher oder später – jeden der Pässe. Nach fast drei Stunden fand diese bürokratische Zeremonie bei frischen Temperaturen auf dem Kaliningrader Vorfeld ein Ende. Journalisten russischer Zeitungen und TV-Sender interviewten die organisationsverantwortlichen Piloten für ihre Berichterstattung. Der Empfang beim Gouverneur von Kaliningrad musste wegen der Verzögerungen durch die Formalitäten umgeplant werden.
 
Sightseeing in Königberg
 
Das bis zum Ende des zweiten Weltkriegs deutsche Königsberg war in Zeiten der Sowjetunion und der Wende über Jahrzehnte hinweg in den Hintergrund gerückt. In den letzten Jahren hat sich die russische Exklave zwischen Polen und den baltischen Staaten zu einer blühenden Region mit fast einer Million Einwohnern entwickelt.
 
 
An vier Tagen hatten die Reisenden die Gelegenheit, historische Orte und wunderschöne Villen in der dreigeteilten „deutsch-russisch-litauischen“ Enklave kennenzulernen. Das alte Zentrum und das ehemalige Schloss, das der Stadt „am Berg des Königs“ seinen Namen gegeben hatte, wurden im Krieg völlig zerstört, nur einige Stadtteile sind noch gut erhalten. Bis Anfang der 1960-er Jahre beherrschten Ruinen das Stadtbild, die Sprache Deutsch wurde verboten, Menschen aus Sowjetgebieten wurden zwangs-angesiedelt. Auch die Straßen erhielten immer wieder andere Namen: mal deutsche, mal sowjetische. Erst seit der Grenzöffnung 1991 sind internationaler Tourismus, der Gebrauch der deutschen Sprache und wirtschaftliches Engagement zugelassen.
 
So wurde das 1893 erbaute Königs-Tor, dessen Mitte nach langer „kopfloser Zeit dreier Königsabbilder“ heute wieder der Preußische Reichsadler ziert, von Alexander Putin, Gerhard Schröder und Jaques Chirac nach seinem Wiederaufbau gemeinsam eingeweiht. „Russland abbauen und Europa aufbauen, das geht nur hier in Kaliningrad“, so die humorvollen Worte der Stadtführerin Elena.
 
Das heutige Insel-Zentrum der Stadt der drei Häfen – Binnen-, Schiffs- und Fischereihafen – ziert der Dom, auch Immanuel Kant-Kathedrale genannt, ein architektonisches Denkmal aus dem 14. Jahrhundert. Das Gebäude ist 93 m lang, 30 m breit und 32 m hoch, der Turm sogar fast 58 m. Seine roten Steine aus Porphyr, einer Granitart, sind charakteristisch für das imposante Kirchengebäude, in dem täglich Orgel-Konzerte stattfinden. Der im Weltkrieg zerstörte Dom wurde in den 1990-er Jahren renoviert. Von dem ihn umgebenden eng bebauten Stadtviertel, dem „Kneiphof“, zeugen heute nur die Fotografien auf den Schildern am Domplatz.
 
Auf dem ehemaligen Schlossplatz steht heute das Haus der sowjetischen Räte. In jedem Sommer feiert man dort das Stadtfest; 2005 fand hier das 750-jährige Jubiläum statt. Das Haus der Räte, ein architektonisch auffallendes modernistisch-funktionales Gebäude mit einigen Baufehlern, dient nur noch der Dekoration, es wurde niemals genutzt – Zitat der Reiseleiterin: „Der Russe baut langsam und mit Fehlern; Deutsche bauen ordentlich und haltbar“. Eine Sanierung war mehrfach vorgesehen, aber momentan steht eher der wirtschaftliche Fortschritt mit neuen Arbeitsplätzen auf der Agenda des amtierenden Gouverneurs. In diesem Zusammenhang soll Kaliningrad im nächsten Jahr Freihandelszone werden.
 
Deutsch-russische Beziehungen in Wirtschaft und Flugverkehr
 
Das Gespräch auf Gouverneurs-Ebene fand zwei Tage später mit seinem Vize Alexander Shederyuk-Zhidkov und weiteren Vertretern der Regierung (Dimitriy Kuskov, Alexev Rzhanov, Alla Ivanova, Ninel Salagaeva) sowie der Wirtschaftsförderung (Oleg Skvortsov, Elena Poleyko und Irina Raykova) statt. Viele der Piloten sind Unternehmer bzw. Manager und waren auf den Austausch zur Wirtschaftsentwicklung sehr gespannt.
 
Das Erfolgsgeheimnis: der Gouverneur hat Kaliningrad als Sonderwirtschaftszone definiert; ausländischen Investoren bietet man in dieser geschichtlich, kulturell und landschaftlich sehr attraktiven Provinz – russisch „Oblast“ – äußerst geringe Firmen-Steuersätze, halbierte Sozialkosten (den anderen Teil übernimmt der Staat) und minimale Grundstückskosten für die Bebauung mit Erbpacht. Löhne und Gehälter sind niedrig, und für Transparenz bei den Formalitäten ist heutzutage gesorgt. Diese Aussagen unterstrich Wirtschaftsministerin Salagaeva: Kooperationen mit 70 Ländern bestehen bereits, internationale Kontakte sollen weiter gestärkt und das Investitionsklima weiter verbessert werden – etwa mit verbindlichen Verträgen und Zusagen seitens Kaliningrad bis 2095. Alle Verträge und Gesetze sind heute frei verfügbar im Netz und Journalisten erfahren alles sofort ... anders als früher.
 
Kaliningrad versteht sich als Brückenkopf nach Russland. Auf Startups und etablierte Unternehmen im Bereich Tourismus, Logistik, Medizin und IT warten große Benefits und engagierte Partner zur Unterstützung. Ein deutscher IT-Unternehmer mit Firma in Kaliningrad bestätigte, es gebe hier vielversprechende Möglichkeiten; so tragen zwei Universitäten zur Innovationskraft und zur Ausbildung qualifizierter Arbeitskräfte bei. Aufgrund der kurzen Wege in die Ministerien reagiere man hier schnell. Startups erhalten bis zu einem halben Jahr Unterstützung, beispielsweise mit der freien Nutzung von Räumlichkeiten („Inkubator“); erworbene oder gemietete Grundstücke werden kostenfrei komplett erschlossen.
 
So blieben am Ende zwei spannende Aussagen, auf ihre Umsetzung blicken wir gespannt: Der Dresdner Verbandsvertreter Jens Günther gründete in Kaliningrad ein Büro des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) und lud den Gouverneur für 2018 zu einem Kongress in Rostock ein, die Zustimmung erfolgte umgehend. Alexander Filin strebt den Ausbau seines Privatflugplatzes und eine visafreie Einreise für deutsche Piloten über 5 Tage an; der Flugplatzchef möchte dies sogar auf acht Tage ausweiten – passend zur Fußballweltmeisterschaft in Russland 2018.
 
Flugplatz Waldau mit Einweihung einer touristischen Flugroute
 
Der Flug mit der Formation deutscher Privatflugzeuge stellte ein Symbol für eine neue Ära der Zusammenarbeit dar: Natürlich waren für diesen ersten Privatflug enorme bürokratische Hürden zu überwinden. Der große emotionale Empfang am Sportflieger-Platz Waldau zeigte, wie sehr man sich dort Partnerschaft und Öffnung wünscht. Am Morgen vor dem Wirtschaftsempfang war die Formation an den Flugplatz von Alexander Filin geflogen, der die Reise formal möglich gemacht hatte. Mit Brot und Salz, Geschenken und Gesang wurden die Piloten empfangen.
 
In der anschließenden Rede dankte ein überwältigter Admiral Vladimir Egorov der Gruppe und erklärte, es sei eine Heldentat, in dieser Zeit einen solchen Flug zu wagen. Eine Luftbrücke sei entstanden, diese wollen die Kaliningrader nun weiter ausbauen. Bürgermeister Sergej Podolski sprach für den Sommer 2018 eine Einladung ins zur Fußballweltmeisterschaft entstehende Kaliningrader Stadion aus. Die deutschen Reiseplaner luden die Kaliningrader Piloten ebenso herzlich auf einen Gegenbesuch nach Braunschweig und Stendal ein.
 
Der Festtag wurde mit Flugshows, Besichtigungen und der Einweihung der ersten offiziellen touristischen Rundflugroute über Kaliningrader Gebiet gefeiert. Eine dafür angefertigte Leinwand mit den Koordinaten der Route durften die deutschen Gäste signieren, sie wird im Stadtmuseum Kaliningrad ausgestellt. Es gab frisch gekochtes Borscht und Pilaw: mit einfachsten Mitteln in einem Riesentopf auf offener Flamme zubereitet und köstlich schmeckend. Eine Begegnung hinterließ besonders nachhaltige Eindrücke: Ein deutsches Paar wurde von einer russischen Hilfsköchin angesprochen. Sie wollte endlich ihren Frieden finden – ihr Vater war im Krieg in Deutschland gestorben, aber niemals ausgesegnet worden. Die gläubige Dame bat darum, in einer protestantischen Kirche eine Kerze in seinem Namen anzuzünden und ihr ein Foto davon zuzustellen. Sie hat dieses Foto bereits erhalten … und ein Pfarrer aus Braunschweig hat zusätzlich ein Gebet für den Gestorbenen gesprochen.
 
Noch ein Highlight und Rückflug
 
Ein Ausflug in das Naturschutzgebiet Kurische Nehrung mit dem Wald der tanzenden Bäume, den zweitgrößten Dünen Europas, fast 63 m hoch, und wunderschönen kleinen Örtchen mit bestens erhaltenen alten Häusern stand auch noch auf dem Programm. Ein lehrreicher Vortrag über Bernstein, der Besuch einer Vogelschutzstation, einer Stunde Badezeit an einem weißsandigen Strand sowie ein Stadtbummel in Swetlogorsk vollendeten den Aufenthalt bei perfektem Wetter. Auch spannende kulinarische Erfahrungen erfreuten die Reisenden.
 
Der Abflug von Kaliningrad gestaltete sich schwieriger. In Waldau ging es bei bedecktem Himmel und Wind los in Richtung Khrabrovo: Zur Ausreise war es nötig, Einwanderungsbehörde und Zoll im internationalen Flughafen zu passieren. Böiger Wind machte die Landung extrem schwierig, und so brach bei der Landung das Fahrwerk einer Braunschweiger Vereinsmaschine. Lange Diskussionen ob des stürmischen Wetters, einer eventuellen Reparatur oder eines Weiterflug in Formation, in Gruppen oder in Richtung einer zufriedenstellenden Lösung für alle Beteiligten zogen sich fast den gesamten Tag hin. Am späten Nachmittag war eine Maschine nach Deutschland aufgebrochen, eine zweite Gruppe mit 11 Flugzeugen startete gen Polen und die kaputte Maschine sollte mit Filins Hilfe bis zum Abend notdürftig repariert werden, um später nach Danzig fliegen. Die russische „Schienung“ der kaputten Strebe gelang und wie durch ein Wunder kam die Maschine bei besserer Wetterlage mit einem erfahrenen Piloten am späten Abend in Danzig an.
 
Fazit: Betrachtet man die Reise aus meinem nichtfachlichen Blickwinkel – ich war zum ersten Mal mit einem Ultraleichtflugzeug unterwegs – so empfand ich diesen Ausflug als nahezu perfekt. Die unglaubliche Schönheit der Landschaften, besonders an der Küste, in geringer Höhe zu genießen, die Natur – Wolken, Sonne und Wind – hautnah zu erleben, mit einer winzigen Maschine zwischen den großen Fluglinienjets zu landen: das ist etwas völlig anderes als Fliegen in Passagiermaschinen. In die Vorbereitungen waren unendlich viel Zeit und Herzblut geflossen; ich danke den Organisatoren, Piloten und Beteiligten mit Hochachtung und Respekt für ihren unermüdlichen Einsatz. Der intensive Austausch, die zahlreichen nachhaltigen Begegnungen und die Gastfreundlichkeit engagierter russischer Flugsportliebhaber werden immer eine wunderbare Erinnerung bleiben.
 
Die Tragweite der Reise – auch in politischer Hinsicht – ist mir später erst bewusst geworden. Ich freue mich, dabei gewesen zu sein und vielleicht ein Stück weit die Geschichtsentwicklung begleitet zu haben.
 
Mirjam Bauer


Ein paar Eindrücke zu dem Ausflug...
 

In der russichen Presse hat der Ausflug auch für Aufmerksamkeit gesorgt und es wurde mehrfach darüber berichtet.


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